Vieles an einem selbst verändert sich im Laufe eines Lebens, also rein äußerlich: Körpergröße, Bauchumfang, die Fülle des Haupthaares. Nur selten übrigens zum Positiven. Doch auch Geschmäcker, Vorlieben, Ansichten und Werte verändern sich im Laufe der Zeit. Ich habe das am eigenen Leibe erlebt. Bei mir machte es nach der Geburt meines Erstgeborenen „Klick“. Sowohl aktive als auch passive Veränderungen durchziehen seither mein Leben. Aktiv insofern, dass ich beispielsweise von einem Tag auf den anderen das Rauchen aufgab. Nach knapp 15 Jahren – mal mehr mal weniger – starkem Zigarettenkonsum. Quasi von 100 auf 0, ohne danach je wieder auch nur ein einziges Mal gedampft zu haben.
Auf der anderen, der „passiven“ Seite – wenn also das Leben aus dir einfach etwas anderes macht – gibt es unzählige Dinge, auf die ich seitdem einen völlig anderen Blickwinkel erlangt habe. Und ich habe teilweise sogar Eigenschaften an mir entdeckt und entwickelt, die in völligem Kontrast zu meinem Vorleben standen. Über eine ganz besondere Eigenart, sich sogar sehr stark verändert hat, werde ich mich heute etwas ausführlicher auslassen. Nichts für Zartbesaitete. So viel sei vorab gespoilert. Ich befasse mich heute mit dem EKEL. Damit wir, was die Definition von Ekel angeht, alle auf dem selben Kenntnisstand beginnen – gerade in Abgrenzung zu anderen Formen der Ablehnung – bedienen wir uns einer kurzen Definition aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia:
„…äußert sich Ekel mitunter auch durch starke körperliche Reaktionen wie Übelkeit und Brechreiz, Schweißausbrüche, sinkenden Blutdruck bis hin zur Ohnmacht.“
Wikipedia
Was sich wie die körperlichen Begleiterscheinungen nach dem Genuss von drei Tassen gepanschtem 5 Euro-Weihnachtsmarkt-Glühwein anhört, kann aber auch völlig andere Ursachen haben:
Der Arachnophobiker, dem beim Picknick unvermittelt eine Spinne über das Gesicht krabbelt, kann diese körperlichen Reaktionen genau so (ungern) nachvollziehen wie der Klaustrophobiker, der in der rappelvollen U-Bahn dicht an dicht gedrängt den knoblaucherfüllten Atem des Interims-Stehnachbars zu inhalieren hat. Acht Stationen lang.
Was dieser Ekel mit Kindern zu tun hat? Gar nix. Erstmal. Ganz im Gegenteil.
Wenn wir an Kinder denken, besonders wenn wir an Babies denken, dann denken wir als liebende Eltern gern an die schönen Momente zurück, bei denen uns dieser wohlig-warme Neugeborenen-Duft umnebelte. Wo Auto-Nerds an Ledersitzen und Armaturen schnüffeln, halten Eltern ihre Riechkolben unheimlich gern an Baby’s Haut. Beschreiben lässt sich dieser Duft nur sehr schwer, weil er naturgemäß sehr individuell ist. Besonders in den ersten Lebenstagen. Wo jeder Auto-Schrauber beim Stichwort Babyschmiere (oder auch Käseschmiere genannt) unweigerlich an den nächsten Ölwechsel denken wird, staunen Eltern neugeborener Steuerzahler über den natürlichen Fettgehalt der Babyhaut. Was die Natur alles von sich aus regelt! Schon genial.
Relativ zügig nach den ersten glückseligen Tagen und Wochen nach Ankunft der Storchenfracht bekommt die Li-La-Laune-Babyduftwolke erste Risse. Denn wo etwas reingestopft wird (in den nimmersatten Mund), muss bekanntlich auch irgendwo anders wieder etwas rauskommen. Und ja, es stimmt: Eltern von Babies und Kleinkindern haben ein Lieblingsthema, über das sie teilweise stundenlang referieren oder mit anderen diskutieren. Stuhlgang. Was sonst in der Gesellschaft ein so delikates Thema ist, dass man nicht einmal seinem Gastroenterologen davon berichten möchte, ist in Elternkreisen der „heißeste Scheiss“ überhaupt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Dass es hierfür sogar Ratgeber mit Bildbeschreibungen gibt, überrascht einen auch nicht mehr. Vielen Dank auf jeden Fall an die folgenden Baby-Fotomodels für die faszinierenden Einblicke, die ihr uns gewährt.
So, wer jetzt noch nur Spucke im Mund hat, den kann wohl so schnell nichts aus der Bahn bringen. Ich betone immer wieder, wie schade es doch ist, dass Gerüche online noch nicht übertragbar sind. Im Gegensatz zu Gerüchten.
Ich möchte mich aber auch gar nicht zuuu lange mit rektalen Auswürfen beschäftigen, da es durch die Erfindung der Babywindel ja zumeist bei kleineren Fauxpas‘ in den ersten Lebensjahren bleibt. Die relativ schnell bereinigt werden können. Das sieht bei oralen Auswürfen gaaaaaaanz anders aus.
Speikinder sind Gedeihkinder
Zugegebenermaßen: Ich habe keine Ahnung, was dieses dämliche „Speikinder sind Gedeihkinder“-Sprichwort eigentlich bedeuten soll. Da bin ich ganz ehrlich. Habe ich nie verstanden, auch nicht nach drei Kindern. Entwickeln sich alle Babies wirklich so prächtig, wenn sie nur genug von Mamas Milch wieder an die frische Luft abgeben? Und was sollen Eltern davon halten, wenn ihre Babies einfach pünktlich aufhören mit dem Trinken, wenn sie satt sind und sich nicht gierig um Sinn und Verstand saugen? Sollten sich diese Eltern wirklich Sorgen machen und ihr Kind schon im zarten Alter von sechs Monaten vorsorglich für Förderschule und Nachhilfe anmelden?
Wenn man eine Fähigkeit erlernt im Laufe der ersten Elternjahre, dann ist es in der Regel der artgerechte Umgang mit Erbrochenem. Ist es denn Zufall, dass die deutsche Sprache für die zugrundeliegende Tätigkeit so viele unterschiedliche Wörter und Variationen kennt? Spucken, speien, (er)brechen, sich übergeben, kotzen, reihern. Um nur einige zu nennen. Für die gebildete Kaste ergänze ich noch „vomieren“. So, jetzt sind wir im Thema angekommen.
Das gebrochene Kind
Ich erinnere mich an dieser Stelle gern sehr ungern an meine Kindheit und meine ersten Erfahrungen im Umgang mit der Autorückbank des elterlichen PKWs. Der, der hinten keine Türen hatte. Und dementsprechend auch keine zu öffnenden Fenster besaß. Da hing ich nun mit meiner Reisekrankheit, zwischen Beifahrerkopfstütze und spaltweise geöffnetem Beifahrer-Seitenfenster und japste nach Luft. Wohlwissend, dass ich noch so viel frische Luft inhalieren könne, ohne dass der Tornado im Magen davon hätte besänftigt werden können.
Wenn man als Kind mit Reisekrankheit in den Urlaub fährt, hat man nicht nur selbst etwas davon, sondern meist die ganze Familie. Wäre doch ätzend langweilig, so eine achteinhalbstündige Auto(-bahn)fahrt. Das muss man doch irgendwie zeitlich auflockern können, dachte ich mir wohl in jungen Jahren. Mehrere in kurzer Abfolge auftretende Rastplatzaufenthalte vor bzw. nach dem Vomieren machen aus einer schnöden Auto(-bahn)fahrt eine richtige Schnitzeljagd: „Haben wir eigentlich noch mehr Wechselklamotten im Kofferraum, ohne dass wir alle anderen Klamotten einmal rausholen müssen? Nein? Dann halt ohne T-Shirt. Ist ja Sommer. Und haben wir noch Tüten? Auch welche ohne Löcher?“
Das war echt eine harte Zeit damals. Das Blatt wendete sich erst komplett zum Guten an dem Tag, an dem ich vorne links im Auto Platz nehmen durfte. Was eine andere Perspektive doch ausmachen kann! Leider werden die Anlagen für die Reisekrankheit anscheinend mit den Genen an die nächste Generation weitergeben. Zum Kotzen ist das.
Mit der Geburt meines ersten Kindes hat sich in mir eine Entwicklung Bahn gebrochen, die genauso erstaunlich wie auch widerlich ist: Es gibt nix mehr, vor dem du dich ekelst. Wirklich nicht:
Auch wenn du gefühlt knöcheltief durch Erbrochenes watest – der eigene Magen nimmt das überhaupt nicht mehr wahr. Was Magen-Darm in der Wort-Kombination tatsächlich bedeutet, wird einem erst so richtig bewusst, wenn die eigene Kinderschar damit konfrontiert ist. So wie neulich.
Eine Brechgödie in drei Akten
Da freut man sich auf ein paar Tage mit den Kindern bei den Großeltern, ein bisschen Erholung und Abwechslung vom Daily Rumble. Doch dann erfüllt plötzlich ein traurig-erschreckendes Wimmern die dunkle Willkommens-Nacht. Aus dem Nichts. Kann viele Gründe haben. Im ersten Moment denkst du: Da hat nur jemand schlecht geträumt. Aber wenig später, nämlich als sich der erste Schwall kindlichen Magen Contents den Weg an die stickige Luft bahnt, ist die Hoffnung auf eine Nacht, die zumindest im Entferntesten etwas mit einer schlafenden Tätigkeit (nicht zu verwechseln mit dem Beamten-Büroschlaf) zu tun haben sollte, passé. Knapp zwei Stunden Würgen, Spucken, Aufwischen, Waschen, Umziehen, Trösten, Kuscheln, Kopf halten, erneut Würgen, Spucken, Aufwischen, Waschen, Umziehen später ist der Spuk vorbei. Denkste.
Was der eine Zwilling kann, beherrscht der andere doch noch mindestens genau so gut. Aus der theoretischen Annahme wird sehr schnell breiige Realität. Kommando zurück, alles noch mal von vorn bitte schön. Die Nacht verfliegt im Nu. Kurz bevor die Sonne aufgehen soll, fallen die letzten Paar Äuglein zu, um sich eine erste Erholungspause zu gönnen. Bevor in ein paar Stunden Teil 2 des dynamischen Duos „Magen & Darm“ in Erscheinung tritt.
Aber auch das wird nur eine von vielen vorübergehenden Episoden sein. Denn dass eine Nacht später auch Kind 3 rumspu(c)kt, überrascht nun nicht wirklich. Leid tun einem die Kleinen aber umso mehr. Während tröpfchenweise nur noch Galle das Innere des geschundenen Leibes verlässt, sitzt man selbst daneben wie ein zweites Häufchen Elend und versucht dennoch paniklos Trost, Mut und Hilfe zu spenden. Und meist gelingt es dir auch.
Wie widerlich, bäääh, e-ke-lig, schreien manche jetzt sicher allein bei der Vorstellung. Wäre mir vor ein paar Jahren nicht anders gegangen. Inzwischen aber meistere ich eine solche Situation, ohne dass ich selbst einen Kloß im Hals verspüre. Weil ich in dieser Situation für mein Kind stark sein muss. Weil ich es beschützen muss. Weil das mein Job ist. Weil es mein Kind ist. Weil es ein Teil von mir ist. Weil ich es gern mache.
Fazit
Gebrochen wird überall mal. In der Schule die Zahlen, beim Fußball das Wadenbein, das Ehe-Gelübde beim Seitensprung und mit guten alten Traditionen heutzutage eh fast unentwegt. Und auch wenn es zusätzlich noch ganz übel werden sollte, sei immer wieder betont: Auch Morgen geht die Sonne wieder auf – und ein neuer Tag bricht an. Nicht zuletzt war es Bertolt Brecht himself, der uns mitnichten mit gebrochenem Deutsch mit auf den Weg gab:
„Beharre nicht auf der Welle
die sich an deinem Fuß bricht, solange er
im Wasser steht, werden sich
neue Wellen an ihm brechen.“
Denkt da mal drüber nach!
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