So, wo waren wir stehengeblieben? Achso, Nabelschnur auf Instagram. Jetzt ist der Nachwuchs also da. Im Krankenhaus. Bei Mama nebenan im Beistellbettchen. So klein, so niedlich. Papasein ist echt toll. Aber gleich muss ich nach Hause. Pokerabend mit den Jungs. Was sein muss, muss sein. Der Nachwuchs versteht das schon, schläft ja eh fast den ganzen Tag. Und außerdem habe ich ja später noch zwei Monate Elternzeit beantragt – und sogar widerwillig „genehmigt“ bekommen, weil mein Arbeitgeber keine andere Wahl hat laut Gesetzgebung. Zwei Monate. Zwei Mal der Verzicht auf knapp 35% Prozent meines üppigen Nettogehalts, von dem 90% meiner Mitbürger nur träumen können. Aber dann ist auch Schluss. Mehr Geld will ich dem Staat nun wirklich nicht schenken, wenn ICH statt meiner Frau, die zwar auch gut verdient, weil emanzipierte Frauen heutzutage halt auch (gern) arbeiten, zuhause bleiben müsste, um das Kind zu betreuen.
Vatersein endet nach 60 Tagen, rät dir Papa Staat. Keine Sekunde später.
Nein, also die zwei Monate, die stehen ja im Gesetzestext, zwei Monate bekomme ich (wir) als Familie zusätzlich dieses Elterngeld, wenn ich als Mann meinen väterlichen Pflichten und Rechten nachkomme. Das Maximum rausholen. Keinen Cent verschenken. Obwohl du als Papa auch sieben oder acht Monate Elterngeld beantragen könntest. Könntest, wenn du wolltest. Elternzeit mit deinem Kind – sehr sehr gern, aber natürlich nur gemeinsam mit der Mama. Ha, wo kommen wir denn da hin, wenn ich mit den Ratten alleine zuhause bleiben müsste. Anarchie!
Ein Phänomen. Warum sieht sich heutzutage kaum ein Mann imstande, ein Kind zuhause allein OHNE die Mutter zu betreuen? Von „erziehen“ wollen wir gar nicht erst sprechen. Ich persönlich kenne in unserem Freundes- und Bekanntenkreis keinen einzigen Vater, der mehr als zwei Monate am Stück Elternzeit genommen hat, geschweige denn als alleiniger Erziehungsberechtigter zuhause die Bälger versorgt hat, während Mama die Brötchen verdient. Niemanden. Das mag jetzt nicht wirklich repräsentativ sein, aber zumindest traurig, oder nicht?!
Okay, der Vollständigkeit halber sei erwähnt, es gibt Familien, in denen der Vater durch seinen Status als Alleinverdiener / Hauptverdiener keine andere ökonomisch sinnvolle Entscheidung treffen kann als weiterhin selbst die Euronen nach Hause zu bringen. Oder diejenigen Väter, die alleinerziehend durchs Leben gehen müssen, weil das Schicksal ihnen einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht hat. All diesen Vätern kann man auch nur den höchsten Respekt zollen, denn sie sind sich ihrer Rolle als verantwortlichem Familienoberhaupt stets bewusst und handeln entsprechend.
Aber was ist mit all den anderen Mittelstandsvätern, den Digital Natives mit Uni-Abschluss und Trader-Konto? Die den Euro nicht jeden Monat dreimal umdrehen müssen, um den Kühlschrank zu füllen. Diese Väter, die ihre Profession eher in ihrer Profession sehen und augenscheinlich weniger in der Zeit, die sie gemeinsam mit ihrem Nachwuchs verbringen (könnten). Mal ganz ehrlich. Wie nachhaltig kann ich ein Verhältnis zu einem Säugling oder einem Kleinkind aufbauen, wenn ich morgens vor allen anderen das Haus verlasse und abends nach Hause komme, wenn der Nachwuchs bereits im Lummerland dämmert. Es bleiben doch die Wochenenden, wird einem entgegnet. Wenn Papa sich tatsächlich von Smartphone und Playstation trennen kann, ist sogar mal ein Spaziergang mit dem Kinderwagen in der Nachbarschaft drin. Das Kind in Ekstase versetzt, juchzt innerlich: „Zehn Minuten allein mit Papa. Ich flippe aus. Was bin ich glücklich. Er muss mich echt lieb haben.“
Cut. Schmutzige Hasskommentare bauen sich gerade in den Köpfen meiner männlichen Leser auf. Was erlaubt der sich? Tut so, als würde ich meine Kinder nicht lieben, nur weil ich lieber arbeiten gehe, als mir zuhause den ganzen Tag lang den Stress mit den Bälgern zu geben. Das Gebrülle, das Gemeckere, die schlechte Laune, das muss ich mir als Vater nun wirklich nicht den ganzen Tag antun. Dafür gibt’s doch die Mama. Spätestens jetzt fühlen sich manche ertappt. Ja, schämt euch ruhig!
Entdecke die Möglichkeiten – und deine Grenzen
Klar, die zweimonatige Prinzessin wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an Papas Brust nicht das gleiche nährende Ambrosia finden, das es bei Mama zu finden gibt. Gerade im ersten (halben) Lebensjahr zieht Papa da vermutlich meist den Kürzeren, weil die Natur es mit der mütterlichen Brust, zumindest was die Grundversorgung eines Kindes betrifft, nun einmal besser meint.
Aber alles Andere, vom Befüllen des Fläschchens, wenn Mamas Ambrosia nicht ausreicht oder nicht mundet, über Windeln wechseln, das väterliche Anstubsen bei den ersten kümmerlichen Krabbelversuchen der halslosen Monster, bis hin zum Schnute abwischen – das alles trauen sich Väter heutzutage alleinverantwortlich nicht zu, sondern nur unter Aufsicht der Kindesmutter?! Ich bitte euch. Und ihr baut Flugzeuge, handelt täglich mit Millionen Euros Spareinlagen oder habt als Führungskraft dutzende Mitarbeiter unter eurer Fuchtel? Aber im Angesicht eines hilflosen, sechsmonatigen Säuglings kapituliert ihr mit dem Hinweis auf ein fehlendes zweites X-Chromosom?
Ich weiß, man muss das alles viel differenzierter betrachten. Der Mann an sich hat solange es menschenartige Säuger wie uns gibt, immer schon eher beim Jagen und Sammeln erfolgeich seine Meriten verdienen können. So ein 8-Tonnen-Mammut zu erlegen, ist natürlich auch eine Leistung, keine Frage. Wobei das auch eher eine Teamarbeit war, soweit ich mich an Ice Age erinnern kann. Ist das dann immer noch so schwierig, wie es den Anschein macht, wenn drei Höhlentypen das Mammut in die Enge treiben, drei weitere mit spitzen Pfeilen und Lanzen aus sicherer Entfernung handtellergroße Löcher in den Fellelefanten reißen und dann einfach nur warten müssen, bis das Mittagessen für die nächsten 8 Wochen endlich zu Boden geht?
Andererseits, versucht ihr mal eine viermonatige Puppe, die wegen Blähungen, Zahnungsschmerzen, nervöser Unruhe und einfach weil sie es kann, nachts um 2 deine vier Wände zusammenschreit, als gäbe es kein Morgen mehr, zu beruhigen und wieder zum Schlafen zu animieren! Und dann noch mal um 4, und um halb 6. In solchen Momenten wünscht man sich eher das Mammut her, ach was, eine ganze Mammutherde.
Wenn du es dann aber im x-ten Versuch tatsächlich einmal geschafft hast, dann überkommt dich so ein Gefühl von Stolz, von Kraft und Genugtuung, das seinesgleichen sucht. Deine eigenen Kinder zu zähmen, ohne die Mama zähneknirschend um Hilfe bitten zu müssen, ist für deine eigene persönliche Entwicklung, deine Legitimation als Vater (im Gegensatz zum „nur“-Erzeuger) ein unendlich bedeutender Schritt. Genauso wie beim Bewältigen anderer Erlebnisse: die erste blutende Nase, die ersten 41 Grad Fieber, der erste kindliche Wutanfall im Discounter. Diese Situationen als Vater allein zu meistern, machen aus dir diesen wahren, echten Helden, diesen Superman, den deine Kinder in dir sehen und dich dafür anhimmeln und verehren werden.
Letztlich brauchst du dir nur eine Frage stellen, und du kannst erahnen, welche Art Vater du denn eigentlich sein möchtest: Hoffst du, dass deine Kinder später mit ihren Problemen, Sorgen und Nöten an deine Tür klopfen, weil sie in dir den Ratgeber und Retter, das schützende Schild, die tröstende Schulter sehen, an die sie sich anlehnen können oder möchtest du nur im Nachhinein von deiner Frau erfahren, dass Sohnemann eine 6 in Mathe nach Hause gebracht hat oder deine Tochter das erste Mal unglücklich verliebt und mit der Welt fertig ist?! Jeder hört jetzt mal in tief in sich hinein, um sich diese Frage ehrlich zu beantworten. Meinen Glückwunsch!
Männer, kommt in die Pötte, reißt euch am Riemen. Vatersein bedeutet so viel mehr als für Kinder da zu sein, wenn man es selbst will. Vatersein bedeutet, da zu sein, wenn deine Kinder es brauchen. Nicht nur, wenn es ihnen gut geht. Sondern vor allem dann, wenn es ihnen schlecht geht. Ich behaupte: Jede einzelne Minute, die du mit deinen Kindern in den ersten Lebensjahren zusätzlich verbringen kannst, wird die Bindung zwischen euch stärken. Auch wenn das Fleisch am Anfang schwach, dein Wille noch schwächer ist, solltest du diese Chance auf jeden Fall ergreifen und jener Vater sein oder werden, den du selbst gern gehabt hättest – oder gar gehabt hast. Nutze diese Chance, viele wirst du nicht bekommen.
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